Guanajuato

Das letzte Wochenende war der Horror für mich. Die beste Beschreibung für diese drei Tage trifft wohl am Besten ein Zitat der Serie „The Big Bang Theory“ von Rajesh Koothrappali als er seinen Aufenthalt einer dreimonatigen Arktisexpedition beschreibt:

„Es war ein nichtendenwollender Albtraum ohne Aussicht auf ein Erwachen.“

Und genauso meine ich es auch.

Angefangen hat alles eigentlich ganz harmlos. Ich saß noch etwas verpennt in einem alten Bus neben einer ziemlich fülligen Mexikanerin und beobachtet etwas skeptisch unseren Reiseorganisator. Ich hatte dem guten Mann über 60€ für dieses Wochenende bezahlt und war gespannt, was er uns für diesen Preis zu bieten hatte. In diesem Moment hampelte er mit einer Karaffe voller Tequila im vorderen Teil herum und erinnerte mich dabei stark an einen ziemlich dicken Gorilla. Dieser erste Eindruck sollte sich im Laufe der gesamten Reise mit jeder Stunde noch verstärken, aber darauf möchte ich lieber nicht näher eingehen.
Nun begann er damit seine Fahrgäste sorgfältig mit Plastikbechern und Agualoco zu versorgen und als er einem spindeldürren Mädchen liebevoll einen großen Becher füllte, zappelte diese dabei entzückt mit all ihren Extremitäten hin und her als sei sie ein Flamingoweibchen auf Ritalin.

Ich zwang auch einen Becher von dem süßen Getränk in mich hinein, was schnell dazu führte, dass ich dringend aufs Klo musste. Ich navigierte mich also umständlich an meiner Sitzgefährtin vorbei und mit viel Anstrengung schaffte ich es schließlich in eine wackelnde Kabine im Hinterteil des Busses. Die Fahrt dauerte etwa vier Stunden und endete in einer hübschen Bergstadt: Guanachuato.

Guanachuato

Guanachuato

 

Hier feierte man jedes Jahr das denkwürdige Fest des Cerventinos. Der Grund, warum wir alle hier waren. Voller Vorfreude stiegen wir also aus unserem Bus und sind ins Zentrum gefahren, wo der Affenorganisator unsere Unterkunft gebucht hatte.

Als wir dort ankamen, stellte ich jedoch fest, dass „Unterkunft“ einfach nicht das richtige Wort für den Ort war, an dem ich die nächsten drei Tage schlafen sollte.

Es gibt eine Reihe an besseren Substantiven für unsere Behausung. Hier eine Liste:

- Loch

- Drecksnest

- Kerker

- Windhütte

- Dixiklo

(Wem noch weitere Wörter für eine eklatant-schreckliche Unterkunft in den Sinn schwirren, der teile sie mir in den Kommentaren mit. Ich veröffentliche sie dann gerne, denn sie passen mit Sicherheit.)

Unsere „Betten“ waren Matratzen, die in schwarze Plastikfolie eingepackt waren. Wir hatten weder Decken noch ein Kissen. Und das allerbeste war unser "Badezimmer":

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Und der zweite "Teil" unseres Bades fand sich dann hier:20141025_090702-1

Und höher war die Qualität einfach nicht. Ich habe später herausgefunden, dass diese Unterkunft pro Person 2€ pro Nacht kostete. Unser Reisebegleiter hat uns 30€ berechnet. Wäre mein Spanisch besser gewesen, hätte ich dem Arsch wirklich mal die Meinung gesagt. Aber so konnte ich nur hoffen die nächsten drei Tage irgendwie zu überleben. Ich wusste einfach beim besten Willen nicht, wie ich die Nächte durchstehen sollte. Ohne Decke und ohne Kissen. Wir waren zwar in Mexiko aber in den Bergen wird es nachts trotzdem sehr kalt. Ich denke mir stand die Verzweiflung auch ins Gesicht geschrieben.

Naja – ich wollte zumindest das Beste daraus machen. Der erste Tag war auch im Prinzip noch recht harmlos. Wir sind in ein Mumienmuseum gegangen, was tatsächlich sehr interessant war. Hier durfte ich die kleinste Mumie der Welt betrachten: Man hatte einer schwangeren Frau den Fötus aus dem Bauch operiert und dann sowohl die Mutter als auch ihr Baby separat mumifiziert. Die echten Mumien zu sehen war etwas erschreckend aber auch gleichzeitig sehr interessant. Wer einmal in Guanachuato ist, dem empfehle ich das Museum auf jeden Fall.

Abends sind wir dann „Party machen“ gegangen. Ich fand diese Idee dumm, aber alle anderen wollten ja. Ich habe bis zu diesem Tag „Party machen“ nicht leiden können. Eventuell kann mir irgendwann ja mal jemand erklären, was an Alkoholintoxikation, Koma und viel zu lauter Musik toll sein soll. Naja – ich konnte schlecht in unserem super gemütlichen Zimmer zurückbleiben und kannte auf dieser Reise leider auch nur eine Person. Ich ging also mit und fand mich schnell im Stadtzentrum wieder. Hier waren nur Menschen. Es waren gefühlte Millionen. Egal, wo ich hintrat: Überall waren sie. Meistens mit Musikinstrumenten oder Stereoanlagen aus denen diese typische mexikanische Musik posaunte. (Ich hatte in den folgenden Nächten Albträume. Und in jedem dieser Albträume kam diese Trötmusik vor. Was sagt uns das?)

Ich hatte schon nach 10 Minuten in dieser Menge Platzangst und das stetige Verlangen dem nächsten Mexikaner mit Kontrabass oder Tuba an die Gurgel zu springen oder ihn mit einer Tasche Apfelsinen zu verprügeln.

Versteht mich bitte nicht falsch: Die Leute mit denen ich unterwegs war, waren alle total nett zu mir. Ich habe mich auch gut mit ihnen verstanden. Aber ich war trotzdem nicht mit ihnen auf einer Wellenlänge. Mit keinem von ihnen. Und das fiel mir schwer.

Ich wollte weder alleine sein, denn die einzige Möglichkeit wäre unsere grässliche Unterkunft gewesen, noch wollte ich mich in dieser furchtbaren Menschenmasse aufhalten. Ich schaltete also sehr schnell von „schönes Wochenende“ auf „pures Überleben“ um.

Ich stellte mir vor es hätte eine Alieninvasion gegeben und die Stadt sei voll von Flüchtlingen. Und unsere Unterkunft war unsere „Zentrale“. Diese Vorstellung half mir irgendwie, auch wenn all die "Flüchtlinge" viel zu besoffen waren, als das es authentisch wirkte.

Ich hielt also die folgenden Stunden irgendwie durch. Ich weiß nicht mehr, wie ich es überlebt habe aber irgendwann nachts sind wir endlich zurückgekehrt und konnten ins "Bett“ gehen.

Fast niemand hatte eine Decke dabei und somit begannen alle damit sich provisorisch aus Handtüchern oder T-Shirts Decken zu basteln. Weil ich aber immer recht spartanisch bin, hatte ich längst nicht genug dabei. Ein Mädchen, die ich nicht kannte hatte einen ziemlich dicken Schlafsack. Sie hat mir angeboten mit ihr im Schlafsack zu schlafen. Ich wollte erst nicht, denn das wäre mir schon unangenehm gewesen. Hier merkte man dann doch, dass ich was „mit Mädchen zusammen in einem Bett schlafen“ etwas konservativ erzogen worden war.

Aber irgendwann war mir so schrecklich kalt, dass ich keine andere Wahl hatte und das Angebot dann doch angenommen habe. In diesem Moment hätte ich vermutlich mit einem lila Nielpferd mit grünen Punkten unter einer Decke die Nacht verbracht. Es war wirklich unbequem und ich habe vielleicht eine Stunde geschlafen. (In der ich von mexikanischer Trötmusik träumte – der Horror)

Am nächsten Tag habe ich mich wie ein Zombie gefühlt. Nur ohne den Teil mit dem Gehirnessen - das ist eklig. Aber nach einer Stunde war ich dann wieder etwas wacher und es ging zurück in die Stadt. Dort war noch immer Party und das ging auch den gesamten Tag so weiter. Am Abend sind dann die anderen alle weiter feiern gegangen aber ich konnte einfach nicht mehr. Ich blieb also in unserem „Loch“ zurück und kringelte mich dort (allein) in den Schlafsack meiner neuen Freundin. Dort konnte ich endlich zwei Stunden schlafen bevor dann alle wieder zurückkehrten und der Raum sich erneut mit Getöse füllte. Dieses Getöse hielt dann auch noch sehr lange an.

Am nächsten Tag hatte ich schon zwei Nächte keinen Schlaf bekommen und konnte auch kein Spanisch mehr reden. Ich schaffte es aber irgendwie die 18 Stunden zu überleben. Nachts um 12 ging es dann endlich wieder zurück nach Guadalajara.

Leider wurde mir auf der Rückfahrt mein Geld gestohlen und weil der Auspuff des Busses kaputt war, zogen schon nach kurzer Zeit Rauchschwaden durch den Innenraum. Als man dann fast nicht mehr atmen konnte, mussten wir aussteigen und haben den Bus gewechselt. Irgendwann am Montagmorgen war ich dann nach drei Nächten ohne Schlaf endlich wieder zu Hause. Ich legte mich ins Bett und wachte erkältet wieder auf. Ich habe noch zwei weitere Tage gebraucht um mich von diesem Horrortrip zu erholen. Naja – da sieht man dass es halt auch echt mal schief gehen kann. Unseren Reiseorganisatoraffen würde ich immer noch gerne eins auf die Zwölf geben, dafür, dass er uns so abgezockt hat. Aber er ist ziemlich groß und stark – ich fürchte, wenn ich die Gelegenheit hätte, würde ich mich nicht trauen. 🙂

Weiter geht es nach dieser Erfahrung mit einem Zwischenfazit:

 

Was ich vermisse

Ich lebe jetzt schon seit über zwei Monaten hier und meine Zeit ist somit bereits zu einem Drittel herum. Dennoch reicht dieser Zeitraum um als Einstieg die Dinge zu erwähnen, die ich vermisse:

1. Käse, Schokolade, Brot (Die haben hier etwas, was sie „Brot“ nennen, aber es ist einfach keins.)

2. Meinen Frühstücksmixer (die Betonung liegt hier auf „meinen“. Denn einen Mixer habe ich hier. Aber in dem tummelt sich irgendetwas. Was es genau ist, weiß ich aber auch nicht...)

3. Die Stille der Natur (wenn ich hier vor die Tür gehe, höre ich die Zündvorrichtung diverser Trucks, Busse, das laute Tröten der Bahn, einen Schrotthändler und mexikanische Frauen, die wild durcheinander pallabern. (Nein ehrlich – sie hören damit einfach nie auf und sie sind überall.)

4. Meine Familie und meine Freunde (ihr kommt erst an vierter Stelle, denn ich kann schließlich mit euch telefonieren und das schmälert das Vermissen deutlich. Mit meinem Mixer kann ich aber nicht telefonieren. Mit der Stille der Natur auch nicht und mit Schokolade erst recht nicht.)

5. Die deutsche Sprache (Dieser Punkt ist manchmal wirklich nicht leicht für mich. Manchmal will ich unbedingt einen Witz machen oder mir fällt spontan etwas ein, was unbedingt gesagt werden muss, aber ich kann es dann einfach nicht so sagen. Und wenn ich es doch versuche, schauen mich die Leute meistens merkwürdig an.

Aber natürlich bedeuten diese Dinge nicht, dass ich mich hier nicht mehr wohl fühle. Ich habe nur erkannt, dass man eben einfach nicht alles haben kann.

Was ich hier inzwischen aber habe, sind wirklich gute Kontakte. Ich wusste zwar nicht, dass es möglich ist, aber ich habe hier tatsächlich inzwischen zu viele Freunde. Und das liegt einfach daran, weil ich in den ersten Wochen natürlich jeden Mexikaner, den ich getroffen habe als potenziellen Freund sah. Ich habe also eine Vielzahl an Menschen kennen gelernt, die mich alle bei Facebook kennen und mich ständig zu irgendwelchen Dingen einladen. Meistens kann ich nicht einmal zur Hälfte dieser Sachen mitkommen, doch das ist natürlich besser, als wenn es umgekehrt wäre.

Natürlich darf eine Liste der Dinge, die ich nicht vermisse aber auch nicht fehlen...

Was ich nicht vermisse

1. Meinen Fernseher

2. Den Hauberg

3. Die verschlossene, grummelige Art der Siegerländer. (Es ist wirklich so. Die Menschen in Mexiko sind einfach freundlicher (bis auf die Drogenhändler – die sind scheiße))

4. Das langsame Internet (hat nichts mit Deutschland zu tun)

5. Die Männer, die alle viel größer und stärker sind als ich und daher besser bei den Frauen ankommen ^^ (Stärker sind die Männer hier leider trotzdem noch. 🙂

6. Den blauen Turm der Uni

7. Das kalte und nasse Wetter.

Wo würde ich also lieber leben? Hier oder in Deutschland? Die Antwort fällt mir nicht schwer: Wesentlich lieber in Mexiko. Allein schon wegen der Temperatur. Aber natürlich würde ich meine Freunde und Familie einfach viel zu sehr vermissen und das wäre es mir dann wiederum nicht wert. Ich weiß aber, dass ich hier bestimmt nicht das letzte Mal in meinem Leben gewesen bin.

Rio caliente

Am Wochenende habe ich zwei coole Sachen gemacht. Den Samstag bin ich mit einer Freundin in den Wald gefahren um dort wandern zu gehen. Es war ein sehr schöner Tag und ziemlich heiß. Nach etwa einer Stunde Laufen, haben wir einen Fluss gefunden, den wir überqueren mussten. Als wir durch das Wasser waten wollten, haben wir uns plötzlich ziemlich erschrocken: Das Wasser des Flusses war nicht kühl und erfrischend, sondern richtig heiß. So heiß, dass es in den ersten Minuten sogar wehgetan hat. Ich war davon aber so begeistert, dass wir schließlich fast eine Stunde Barfuß flussabwärts gewatet sind, was ein großes Vergnügen war.

Das ist Cristina. Sie kommt aus Spanien und mit ihr zusammen war ich beim Rio caliente. Das Wasser ist wirklich heiß und ich war hier später noch oft zum Schwimmen.

Das ist Cristina. Sie kommt aus Spanien und mit ihr zusammen war ich beim Rio caliente. Das Wasser ist wirklich heiß und ich war hier später noch oft zum Schwimmen.

Die „Chongos“

Am Sonntag hingegen sind wir mit einer größeren Gruppe an Leuten in ein Gebiet gefahren in dem die Azteken vor etlichen Jahrhunderten Pyramiden und Grabstätten errichtet haben.

 

Die Chongos: Sehen nicht nur ekelhaft aus, sondern sind es auch.

Die Chongos: Sehen nicht nur ekelhaft aus, sondern sind es auch.

Es war ein sehr interessanter Ausflug, den ein Freund von mir organisiert hat, dessen Name „Cheese Cake“ ist. Ich erwähne den Namen nur, weil ich es lustig finde, dass er so heißt und auch von allen so genannt wird. Käsekuchen.

Später sind wir dann noch an einen See gefahren, der zu einem großen Teil mit Seerosen bedeckt war. Ich habe mich dort fast wie in einem Traum gefühlt, denn es hatte schon etwas Unwirkliches. Danach waren wir noch in einem Restaurant etwas essen, was wieder eine echte Herausforderung für mich war. Ich weiß hier leider einfach nie, was ich genau bestellen soll und somit habe ich mir nach langer Recherche und nach inniger Beratung meiner Freunde „Chongos“ bestellt.

Und die Chongos habe ich auch bekommen, wobei ich immer noch nicht weiß, was das genau gewesen ist.

Ich versuche aber mal es zu erklären: Der Kellner brachte mir ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit. In der klaren Flüssigkeit schwammen braune, unförmige Broken. Die Broken waren aber nicht nur braun und unförmig sondern zugleich auch ziemlich eklig. Eine Freundin hat ein Video von mir gemacht, während ich die Chongos aß und es sich danach immer und immer wieder angesehen. Die gute Frau ist aus dem Lachen nicht mehr rausgekommen. Jedenfalls habe ich meine Chongos nicht aufgegessen, sondern sie der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, sodass jeder „mal kosten“ durfte. Und die anderen mochten die Chongos sogar. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie für mich weiterhin einfach nur eklig sind. Nunja – abgesehen von den Chongos war es jedenfalls ein wunderbarer Tag.

Mein Kumpel Cesar war im letzten Reisebericht schon mit mir in der Barranca. Er kommt aus Spanien und daher ist das Sprechen mit ihm auch ganz anders. Er ist auch kein Student, sondern arbeitet hier in Mexiko bis Dezember.

Mein Kumpel Cesar war im letzten Reisebericht schon mit mir in der Barranca. Er kommt aus Spanien und daher ist das Sprechen mit ihm auch ganz anders. Er ist auch kein Student, sondern arbeitet hier in Mexiko bis Dezember.

Es sieht gar nicht aus, wie ein See

Es sieht gar nicht aus, wie ein See

Es sind keine richtigen Angeln, sondern nur Stöcke mit Seil und Köder. Die Stöcke kann man für zehn Cent kaufen.

Es sind keine richtigen Angeln, sondern nur Stöcke mit Seil und Köder. Die Stöcke kann man für zehn Cent kaufen.

Die Pyramiden hier sehen doch etwas ungewöhnlich aus.

Die Pyramiden hier sehen doch etwas ungewöhnlich aus.

Die Huasteca

Die Huasteca ist ein Gebiet nordöstlich von Mexiko und am 16. Oktober ging es vier Tage in diese traumhaft schöne Gegend. Bekannt ist die Huasteca für die riesigen Regenwaldgebiete, durch die Flüsse aus klarem, blauen Wasser fließen. Am Donnerstagabend ging es also los und wir haben uns alle an der Uni getroffen. Gefahren sind wir mit einem ziemlich verwitterten VW-Bus, der für neun Personen ausgelegt war. Ich betone diese Zahl absichtlich, denn für die Mexikaner ist der Begriff „ausgelegt“ ein Synonym für „minimale Anzahl“. Wir haben uns also mit zwölf Personen in das Büsschen gequetscht, was mein Wohlbefinden ein kleines bisschen eingeschränkt hat. Aber ich fügte mich rasch in mein Schicksal und ließ mich von den folgenden Zeilen trösten:

Und aus dem Chaos sprach eine Stimme zu mir:

"Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen!",

und ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer...!

Murphies Gesetz Kapitel 5, Vers 3


Ich habe also gelächelt und war froh. Bis zu dem Zeitpunkt an dem mein Kumpel dann den Motor gestartet hat und der Bus tatsächlich losfuhr. Denn da kam es tatsächlich schlimmer. Ich stellte nämlich fest, dass einige Fenster des Busses nicht verschließbar waren und es mir somit aus allen erdenklichen Richtungen kühl um die Nase pfiff.

Wir haben dann also erst mal damit begonnen alle erdenklichen Rillen, Spalten, Schlitze und Ritzen des Busses mit Handtüchern zu versiegeln, was zwar semiprofessionell wirkte, jedoch tatsächlich seinen Zweck erfüllte. Doch der kaputte Bus hatte glücklicherweise auch noch eine positive Seite: Das Radio war kaputt und die Boxen waren entfernt worden. Wer mich etwas besser kennt, dem sollte meine Abneigung gegen laute Musik bekannt sein. Ich habe schließlich die ersten Jahre meiner Jugend mit den verzweifelten Versuchen zugebracht in lauter Partymusik, übermäßigem Alkoholkonsum oder gar Tanzen etwas Positives zu entdecken. Erfolglos.

Ich knuddelte mich also zufrieden zwischen meine beiden Sitznachbarinnen und lächelte erneut und war froh über die seelige Stille.

Ich wollte gerade meine Augen schließen als einer meiner Kumpels jedoch liebevoll eine batteriebetriebene Stereoanlage aus seiner Tasche zog, und diese mit Saugnäpfen an der Windschutzscheibe befestigte. Kurze Zeit später begannen dann zwei Handlungsstränge:

  1. Der Stereoblaster begann sehr laut und ohne Rücksicht auf meine Vorliebe für Stille das gesamte Wageninnere mit einem Konglomerat aus mexinanischem Gedudel und Trompeten zu erfüllen, unterlegt von einer leidenschaftlichen Männerstimme die irgendwas davon preisgab, wie sehr sie irgendwen verehrte.(Es ging um rote Lippen, die große Liebe und den vollen Mond oder um volle Lippen, die rote Liebe und den großen Mond oder so – so genau konnte ich das auch nicht verstehen.)
  2. Meine Sitznachbarin begann mir auf Spanisch sehr begeistert von ihrem Studium zu erzählen. Ich konnte zwar ihre (roten) Lippen sehen (die sich sehr schnell und aufgeregt bewegten) und auch ihre wilde Mimik und Gestik beobachten, aber hören konnte ich sie nicht wirklich.

Aber an solche Situationen war ich inzwischen schon gewöhnt und somit lächelte ich einfach und nickte an den Stellen, wo es mir angebracht schien. Der Monolog nahm etwa eine halbe Stunde in Anspruch und ich wusste danach weder ihren Namen, noch was sie jetzt genau studierte. (Es hatte aber mit großer Sicherheit etwas mit „der Welt“ zu tun, denn sie sagte oft „Mundo“.)

Die Fahrt dauerte dann etwa zehn Stunden, doch glücklicherweise wollte meine Sitznachbarin irgendwann schlafen und auch der Akku der Stereoanlage ging zur Neige.

Dieses „zur Neige gehen“ wurde von der Mehrheit der Anwesenden mit dem Begriff „Schade“ kommentiert. Ich war darüber verwundert, denn „Schade“ sagt man doch eigentlich in anderen Situationen.

Hier ein paar Beispiele:

„Es ist schade, dass du die Prüfung nicht geschafft hast.“, oder

„Es ist schade, dass du Durchfall hast.“, oder

„Es ist schade, dass kein Pudding mehr da ist.“, oder

„Es ist schade, dass Putin Präsident der russischen Föderation ist.“

Wenn aber laute Trötmusik zu tröten aufhört ist das genau das Gegenteil von „Schade“. Nämlich gerade „nicht schade“. Es handelte sich also um eine semantisch falsche Aussage, und wäre ich damals einer der Gebrüder Grimm gewesen, wäre es auch noch grammatikalisch falsch.

Aber egal.

Nach etwa 8 Stunden Fahrt sind wir in der Huasteca angekommen und ich konnte mich gar nicht mehr satt sehen an der Landschaft um uns herum. Ich fühlte mich stark an zahlreiche Computerspiele erinnert, die ich als Kind geliebt hatte. Damals hatte ich mir immer gewünscht mal durch eine solche Landschaft zu fahren. Die Gegend war üppig gesäumt von Palmenhainen, Bananenplantagen, Zuckerrohrfeldern, primitiven Hütten in denen der ärmere Teil der Bevölkerung lebte, Sonne und sauberen, blauen Flüssen.

 

In der Huasteca

In der Huasteca

Ich stellte überraschenderweise fest, dass ich diese Menschen tatsächlich benied. Sie hatten außer ihren Feldern und Häusern nichts. Doch sie lebten im Paradies. Für einen kurzen Moment überkam mich die Lust mit einem dieser Menschen zu tauschen. Wenn der Buddhismus wahr sein sollte (was natürlich Unsinn ist 😀 ), dann würde ich ab jetzt aufhören an meinem Karma zu arbeiten, denn es würde mir schon reichen als armer Mensch wiedergeboren zu werden, wenn es denn in dieser Gegend sein darf. Und das ist übrigens kein Scherz.

Nach weiteren zwei Stunden ziemlich turbulenter Fahrt sind wir dann in eine Gegend gekommen, wo es gar keine Straßen mehr gab, sondern nur noch unbefestigte Wege. Wir erreichten schließlich einen Fluss und haben uns mühselig aus dem Bus gequetscht. Zu diesem Zeitpunkt war ein großer Teil meiner Körperteile bereits eingeschlafen. Am Flussufer schwankten zudem eine Reihe an Kanus, die die Einheimischen hier positioniert hatten. Es mussten also Schwimmwesten angelegt werden und anschließend haben wir uns dann in einem der Kanus eingenistet und angefangen den Fluss stromaufwärts zu rudern. Das war ein echtes Abenteuer für mich, denn ich war schon nach zehn Minuten komplett durchnässt und mir war kalt. (Es waren 30°)

Die Anderen haben gegensätzlich nicht gefroren, aber diesen Kontrast kenne ich ja schon. Wir sind also ein paar Stunden gepaddelt und haben auf der Reise durch den Dschungel eine Menge Wasserfälle, Höhlen und andere schöne Stellen entdeckt. Es war wirklich ein nasser Traum.

(Ich hätte fast „feuchter Traum“ geschrieben – haha – ha – ha... ähhhm ja 🙂

Im Hintergrund kann man den "Wasserfall von Tamul" sehen. Der größte Wasserfall der Huasteca.

Im Hintergrund kann man den "Wasserfall von Tamul" sehen. Der größte Wasserfall der Huasteca.

[Und wo wir gerade eh schon vom Thema abgekommen sind: Mein Vermieter sitzt in genau diesem Moment im Nebenzimmer und singt. Es ist ein esoterischer Singsang, und an meinen ersten Tagen hier habe ich noch geglaubt, dieses summende Geräusch würde von irgendeinem Gerät erzeugt. Aber es ist in Wahrheit sein Meditationsritual. Er hat hier sogar einen richtigen Altar aufgebaut und ruft glaube ich die Geister. Oder versucht es zumindest. Er scheint jedenfalls keinen Erfolg zu haben, und dass trotz der geschätzten dreitausend Bücher, die er zu dem Thema besitzt. Naja- wenn ich ein Geist wäre und diesen Singsang hören müsste, würde ich mich vermutlich im wahrsten Sinne des Wortes „verdünnisieren“ bevor ich das noch länger ertragen muss.]

Aber egal – jedenfalls wurden die nächsten Tage in der Huasteca von ähnlichen Ereignissen gekennzeichnet. Wir fuhren Kanu, kletterten, schwammen, sprangen von Klippen und bewunderten die Natur. Es war ein wirklich anstrengendes aber auch sehr lohnendes Ereignis. Das Hotel in dem wir lebten war zudem ziemlich heruntergekommen und wir schliefen jeweils zu zweit in einem Bett. Und einmal als ich morgens aufwachte, lag da plötzlich noch einer unserer Reiseführer mit im Bett, der nachts einfach hinzugeschlüpft war obwohl er ja gar nicht zu uns gehörte. Aber irgendwie war das auch amüsant für mich obwohl alle anderen sich total drüber aufgeregt haben. Eine Freundin von mir meinte: „Mitten in der Nacht tauchte er plötzlich auf und seit er da neben mir lag, konnte ich einfach nicht mehr schlafen.“ Naja... so sind sie halt. Die Mexikaner.

Auffallend ist das durch winzige Mineralien türkisgefärbte Wasser. Es ist sehr klar und wunderschön an diesen Orten.

Auffallend ist das durch winzige Mineralien türkisgefärbte Wasser. Es ist sehr klar und wunderschön an diesen Orten.

Auf der Rückfahrt hat der Bus dann noch die Grätsche gemacht, was wirklich niemanden so richtig verwunderte. Aber irgendwie haben wir es dann doch noch zurück nach GDL geschafft, auch wenn es eine echt schwere Geburt war. Ich persönlich musste nach diesen vier Tagen „Urlaub“ erst mal einen Tag Urlaub machen um mich vom „Urlaub“ wieder zu erholen. Aber was hatte ich auch anderes erwartet? 🙂