Authentizität – Werte

Ein wichtiger Baustein eines glücklichen und selbstbestimmten Lebens ist Authentizität. Ich möchte in diesen Bereich erklären, wieso das so ist, und welchen Weg ich gehe, um eines Tages so authentisch wie möglich zu sein.

Was ist Authentizität?

Authentizität bedeutet nichts anders als „echt“ sein. Und „echt“ heißt wiederum „keine Kopie zu sein“.
Um also wirklich authentisch zu sein, muss man wissen, wer man selbst ist. Doch schon an dieser Stelle kommen die meisten Menschen ins Schlingern, denn es ist gar nicht so leicht zu definieren, wer man eigentlich ist.
Und das liegt daran, weil wir uns schon seit wir Kinder sind mit externen Faktoren identifizieren.
Diese externen Faktoren können z.B. sein:

  • Mein Name: z.B. Ich bin Max.
  • Meine Herkunft: z.B. Ich bin Spanier.
  • Mein Job: z.B. Ich bin Elektriker.

Oder noch schlimmer: Mit dem, was wir haben:

  • Ich habe ein eigenes Pferd.
  • Ich habe einen 3er BMW.
  • Ich habe eine Tochter.

Gerne identifizieren wir uns auch mit dem, was wir können:

  • Ich kann Reiten.
  • Ich habe die Goldmedaille im Schwimmen gewonnen.
  • Ich bin gut in Mathe.

Das Problem bei der ersten Kategorie ist, dass es alle diese Dinge gar nicht wirklich gibt. Somit sind z.B. Namen nur „Label“, die eine gewisse soziale Funktion erfüllen. Sie haben aber gar nichts mit uns zu tun. Es ist also nicht möglich ein „echter Max“ zu sein.
Auch die Herkunft ist ziemlich schlecht für die Identifikation geeignet, denn auch Ländergrenzen sind nur Projektionen, die in der realen Welt nicht existieren. Ich kann kein „echter Franzose“ sein.
Die zweite Kategorie hat auch kaum Aussagekraft, denn unser Besitz kann sich sehr schnell ändern, und auch etwas wie „Besitz“ ist nur eine Projektion.
Es gibt z.B. keinen physikalischen Unterschied zwischen einem Auto, was „mir gehört“, oder einem anderem Auto. Mein Auto hat daher nichts mit mir zu tun. Obwohl natürlich umgekehrt mein Besitz etwas über mich aussagt.
z.B. könnten Kletterschuhe aussagen, dass ich Bewegung wertschätze. Man darf hier die Richtung nicht verwechseln. Um authentisch zu sein forme ich meinen Besitz, aber mein Besitz darf niemals mich formen.
Aber auch die letzte Kategorie ist nicht gut geeignet, denn Können ist i.d.R. erlernbar. Ich kann also z.B. Reiten lernen. Dadurch habe ich mich zwar verändert und bin danach anders, doch sagt die Änderung nichts über meine Motivation aus.
Hier gilt also das Gleiche wie bei Besitz: Mein Können darf nicht mich formen, sondern ich forme mein Können.
Was ich kann, sagt also kaum etwas über mich aus. Viel wichtiger ist die Frage, wieso ich etwas gelernt habe.
Wenn mich z.B. meine Mutter gezwungen hat, Trompete zu lernen, sagt die Tatsache, dass ich Trompete spielen kann kaum etwas über mich selbst aus. Sie sagt viel mehr über meine Mutter aus.
Wenn ich aber Trompete gelernt habe, weil ich mich aus freien Stücken dazu entschieden habe, ist die Aussagekraft eine ganz andere.

Authentizität hat also viel mehr mit den Ursachen zu tun, wieso ich bestimmte Dinge habe oder kann.
Doch welche Ursachen sind das?

Werte

Die Ursachen von denen ich spreche gehen tiefer. Ich möchte sie ab jetzt „Werte“ nennen.
Sobald wir den Mutterleib verlassen, werden uns zahlreiche dieser Werte vermittelt. Wir werden metaphorisch mit Werten bombardiert und in den ersten Lebensjahren haben wir auch keine andere Wahl, als alle diese Werte ungefiltert zu übernehmen.
In der Regel sind es unsere Eltern, die uns die ersten Werte vermitteln, doch sobald wir zur Schule oder in den Kindergarten gehen, tauchen noch hunderte andere auf. Oft widersprechen diese Werte sich sogar, was verwirrend sein kann, weil wir schon früh gezwungen werden, nur bestimmte Werte zu übernehmen und andere als „schlecht“ zurückzuweisen.
Diese Entscheidung treffen wir aber nicht selbst, sondern übernehmen i.d.R. die Werte von den Personen, denen wir mehr vertrauen.
Wenn meine Eltern z.B. beide Raucher sind und mir mit ihrem Verhalten vermitteln, Rauchen sei etwas Gutes, werde ich meinem Lehrer keinen Glauben schenken, wenn dieser mir erklärt, wie schädlich Rauchen ist.

Transformation von Werten

Ein authentischer Mensch muss so früh wie möglich eine Phase durchleben, in der er alle Fremdwerte, die er von anderen Menschen übernommen hat, in seine eigenen Werte umwandelt.
z.B. haben meine Eltern mir beigebracht, Lügen sei etwas Schlechtes. Ich habe diesen Wert lange Zeit als „Fremdwert“ in meinem Herzen getragen, und tatsächlich bis ich 20 war niemals bewusst gelogen.
Erst später wurde mir klar, dass es Situationen gibt, in denen Lügen durchaus die bessere Variante ist. Diese Situationen sind zwar sehr rar gesät, aber es gibt sie trotzdem.
Ich habe also den Wert des Nicht-Lügens übernommen, ihn aber so angepasst, dass er mir in bestimmten Situationen trotzdem erlaubt zu lügen. Ich habe also den Fremdwert genommen und ihn zu meinem eigenen Wert transformiert.
Diese Transformation sollte mit jedem Wert, den wir von anderen erhalten stattfinden, damit wir als erwachsene Menschen gar keine Fremdwerte mehr in unseren Herzen tragen, sondern ausschließlich eigene Werte.
Der erste Schritt zu einem authentischen Selbst ist daher die Transformation aller Fremdwerte in Eigenwerte. Erst dann sind wir nicht mehr Fremdbestimmt, sondern bestimmen unser authentisches Selbst.

Welche Werte sind „gut“?

Die Transformation eines Wertes verlangt immer eine Möglichkeit der Bewertung. Wenn ich keine Methode habe, wie ich bestimmen kann, ob ich einen Fremdwert behalte oder nicht oder wie ich ihn transformieren kann, kann ich niemals authentisch sein.
Daher sollte sich jeder die Frage stellen, nach welchen Kriterien die eigenen Werte bewertet und transformiert werden.
Mein persönliches Kriterium ist das Folgende.

„Ein Wert ist genau dann ein guter Wert, wenn er dazu beträgt, dass ich selbst und meine Mitmenschen, so nachhaltig glücklich wie möglich sind.“

Nach diesem Credo lebe ich und möchte zwei paar Beispiele nennen:

  • Gesunde Ernährung ist ein „guter“ Wert für mich, denn nur so kann ich lange gesund bleiben. Zwar würde mich ein Schokoriegel in diesem Moment kurz glücklich machen, doch auf die lange Sicht gesehen ist Zucker so schädlich, dass er mich nachhaltig unglücklich macht.
  • Unverbindliche Beziehungen einzugehen ist ein „schlechter“ Wert für mich, denn das mag mich und meinen Partner zwar für einige Wochen oder Monate glücklich machen, doch auf die längere Sicht gesehen endet es meist in Verletzung und gebrochenem Herzen mindestens einer Person.

Ich möchte hier darauf hinweisen, dass es für mich einen großen Unterschied zwischen „nachhaltigem Glück“ (eudämonistischem Glück) und „schnellem Glück“ (hedonistisches Glück) gibt. Ich gehe auf meine eigenen Wertvorstellungen in einem eigenen Artikel detaillierter ein.

Um authentisch zu sein, ist es also notwendig die folgenden Schritte zu erfüllen:

  • Sich aller seiner Fremdwerte bewusst werden.
  • Alle diese Fremdwerte in Eigenwerte zu transformieren oder sie zu verwerfen.
  • Sich danach aller Eigenwerte klar zu sein.

Das Ergebnis dieser Schritte ist ein solides Wertesystem, an dem man sich festhalten kann, und was einem die Entscheidungen im eigenen Leben erleichtert. An dieser Stelle taucht leider immer wieder ein häufiges Problem auf.

Disziplin

 „Entweder du erträgst den Schmerz der Disziplin, oder den Schmerz der Enttäuschung und des Bedauerns.“ – Jim Rohn

Ein solides Wertesystem gefunden zu haben ist ein großer Schritt. Doch war all die Mühe umsonst, wenn man es nicht fertig bringt, den eigenen Werten gerecht zu werden.
Das beste Beispiel ist vermutlich Sport. Viele Menschen nehmen sich zu Beginn eines neuen Jahres vor, sportlicher zu werden. Sie haben also unterbewusst einen neuen „Wert“ für sich geschaffen und möchten ab Januar nach diesem Wert leben.
Doch meistens schlagen diese Versuche fehl, was mehrere Ursachen hat:

  • Der neue „Wert“ wurde gar nicht als solcher erkannt. Man vergisst ihn also leicht wieder.
  • Der Wert war nicht präzise genug definiert. Man hat sich vielleicht nicht genau überlegt, was „sportlicher werden“ konkret bedeutet.
  • Es hat an Disziplin gefehlt.

Die ersten zwei Punkte zu eliminieren ist verhältnismäßig leicht.
Der letzte Punkt ist schwierig.
Disziplin ist meiner Erfahrung nach einer der wichtigsten Schlüssel zu einem glücklichen Leben. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass ein undisziplinierter Mensch niemals nachhaltig glücklich sein kann. Das liegt vor allem daran, weil alle Formen von nachhaltigem Glück, Disziplin erfordern.
Leider erinnert der Begriff die meisten Menschen an Bestrafung und hat eine eher negative Konnotation. Zu Unrecht!
Ich möchte hier kurz erklären, was mir geholfen hat disziplinierter zu sein, sodass ich allen meinen Werten gerecht werden kann:

1. Nur der Anfang ist schwer

Ein häufiger Irrtum, bei allem, was Disziplin erfordert ist emotionaler Natur. Menschen beginnen z.B. damit, auf Zucker zu verzichten und finden es absolut furchtbar. Das führt dann dazu, dass die meisten schon nach wenigen Tagen wieder anfangen Zucker zu essen, weil sie sich nicht vorstellen können, diesen Lebensstil langfristig auszuhalten.
Das Geheimnis liegt aber darin, dass es sich in Wahrheit nur am Anfang so schwer anfühlt. Als ich aufgehört habe Zucker zu essen, waren die ersten 2 Wochen eine wahre Qual, nach weiteren zwei Wochen wurde es dann deutlich leichter und nach 6 Wochen war mein Körper so frei von Zucker, dass ich gar kein Bedürfnis mehr verspürte, etwas Süßes zu essen.

Ähnlich ist es bei allen anderen Dingen:

  • Sport ist anfangs schwer, doch wenn man in bestimmten Dingen etwas durchgehalten hat, macht er glücklich und man wird förmlich „süchtig“ nach Bewegung.
  • Ein neues Projekt zu beginnen ist sehr schwierig. Doch wenn man erst einmal weiß, wie man vorgehen will, erreicht man irgendwann einen Flowzustand und es geht wie von alleine.

Die Illusion, etwas sei vollkommen unschaffbar für einen, nur weil es am Anfang schwer ist, hat meiner Meinung nach schon vielen Menschen ein glückliches Leben gekostet. Glaube hier nicht deinen eigenen Gefühlen. Sie sind einfach nicht wahr.

2. Disziplin lässt sich trainieren

Disziplin ist wie ein Muskel. Durchhaltevermögen ist nicht angeboren, sondern kann trainiert werden. Auch hier ist der Sport wieder ein gutes Beispiel.
Als ich Anfang diesen Jahres angefangen habe, jeden zweiten Tag Planks zu machen, hat das zu Anfang sehr weh getan und ich konnte den Schmerz kaum aushalten. Eine Plank allein 30 Sekunden zu halten war eine echte Herausforderung. Doch schon nach kurzer Zeit erzielte ich viel bessere Ergebnisse. Das lag natürlich am Trainingseffekt des Muskels selbst, doch es lag ebenfalls am Trainingseffekt der Disziplin.
Wenn ich heute in der Zeit zurück reisen könnte, würde ich eine Plank mit derselben Muskulatur viel länger durchhalten.
Man sollte also niemals vergessen, dass auch Disziplin trainiert werden kann. Und dieses Training zahlt sich in allen Lebensbereichen aus.

3. „Long term consistency beats short term intensity“

Dennoch gilt die Regel: Man sollte sich lieber weniger vornehmen und das auch konsistent durchziehen, als sich viel zu viel zuzumuten und nach ein paar Wochen wieder aufzugeben. Ist der „Muskel“ der Disziplin dann nach ein paar Wochen etwas besser trainiert, kann man die Intensität auch etwas erhöhen, aber das sollte man nicht von Anfang an tun.
Ich habe z.B. drei Jahre gebraucht, um mich genauso zu ernähren, wie ich es schon immer wollte. Es war ein langer Prozess der Gewöhnung, den ich nicht hätte beschleunigen können.

Kognitive Dissonanz

Ich möchte noch einen weiteren Irrtum aufdecken, dem ich lange Zeit unterlegen war. Früher glaubte ich immer, bei Authentizität ginge es in erster Linie darum, gegenüber anderen authentisch zu sein.
Mir war damals aufgefallen, dass ich gegenüber meiner Mitmenschen verschiedene „Rollen“ spielte.
Bei einem Kaffeetrinkern mit den Großeltern verhielt ich mich z.B. anders, als vor meinen Kumpels. Ich habe dieses Verhalten an mir selbst als nicht authentisch wahrgenommen und immer versucht, mich überall gleich zu verhalten.
Heute weiß ich aber, dass es gar nicht in erster Linie um die Anderen geht.
Wer authentisch sein will, darf ruhig verschiedene gesellschaftliche Rollen spielen. Er sollte dabei aber immer sich selbst treu bleiben.
Und das bedeutet nichts anderes, als sich mit Hilfe von antrainierter Disziplin an das eigene Wertesystem zu halten.
Wenn man dies nicht schafft, entsteht ein Gefühl, was in der Psychologie als „Kognitive Dissonanz“ bezeichnet wird. Dieses Gefühl wird zwar verstärkt, wenn ein Mitmensch von dem eigenen Werteverstoß mitbekommt, aber es geht dabei eigentlich um Dich selbst.
Es ist also okay, wenn ich mich vor meinem Chef anders verhalte, als vor meiner Freundin, solange ich vor beiden (und mir selbst gegenüber!) mein Wertesystem nicht verletze.

Fremdwerte ablegen

Das Gefühl der kognitiven Dissonanz bei einem Werteverstoß ist deutlich spürbar, stumpft aber auch mit der Zeit ab. Wenn du also noch einen Fremdwert in dir trägst, den du schon längst für dich abgelegt hast, mag es sein, dass du dich trotzdem noch schlecht fühlst, wenn du gegen den alten Wert verstößt. Hier muss man dann einfach durch und das Gefühl ignorieren. Glücklicherweise stumpft das Gefühl nach einigen Werteverstößen ab und verschwindet schließlich komplett.

Fazit:

Um glücklich zu sein, ist es notwendig authentisch zu sein. Authentisch kann ich aber nur sein, wenn ich mein eigenes Wertesystem entwickelt habe. Dieses Wertesystem besteht aus Fremdwerten, die ich in meine eigenen Werte transformiert habe + der Werte, die ich selbst gefunden habe.
Dieses Wertesystem gibt Sicherheit und erleichtert es die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es erfordert aber auch Pflege, Aufmerksamkeit und Disziplin.
Der Weg zum ersten Teil meiner Definition von Authentizität ist vollendet, wenn sowohl das Wertesystem gefunden, als auch die dafür notwendige Disziplin entwickelt wurde.
Beim zweiten Teil geht es um etwas anderes. Es wurde nämlich noch nicht über Gefühle gesprochen.