Vor einigen Wochen hatte ich einen Albtraum: Ich saß mit schwitzigen Händen in einer Vorlesung und musste eine Klausur schreiben. Ich glaube es war Mathe, denn vorne stand ein uralter verwitterter Professor, der ganz viel wirres Zeug an die Tafel geschmiert hat.
Ich habe mich unsicher umgeschaut und die anderen Studenten begutachtet, die alle super schlau aussahen und immerzu genickt haben (es war diese Art von Nicken, wo man genau wusste, was für einen Durchblick die alle hatten) - und als ich dann meine Prüfungsaufgaben gelesen hatte, ist mir ganz flau geworden, denn da waren ganz viele merkwürdige Zeichen, von denen mir kaum eines etwas sagen wollte.
Gut, dass es nur ein Traum war!
Wenn ich über mein Leben nachdenke, war das Mathe in der Uni wohl eine der kompliziertesten Dinge, die ich je hatte machen müssen.
Doch mit einer Sache fühle ich mich oft genauso wie in meinem Albtraum. Und das sind Beziehungen.
Auf der einen Seite sind Beziehungen und Freundschaften fast die wichtigsten Dinge für mich (auf meiner Skala haben sie fast die höchste Priorität), doch gleichzeitig fühle ich mich auch oft maßlos überfordert.
Ich möchte hier erklären, wieso das so ist und welche Schwierigkeiten ich mit Beziehungen habe. Außerdem will ich einige Lösungsmöglichkeiten und Hoffnungen vorstellen.
Dazu beleuchte ich Beziehungen jetzt mal von ein paar Seiten:
Widersprüche
Dieser erste Punkt bezieht sich vor allem auf romantische Beziehungen. Von ihnen erwarten wir uns in der Regel folgende Dinge:
- Leidenschaft
- Freundschaft
- Sicherheit
Mit Leidenschaft meine ich körperliche Anziehung: Also Sex, Schmetterlinge im Bauch und alles, was dazu gehört.
Mit Freundschaft meine ich gemeinsame Interessen, gute Gespräche, gemeinsamen Humor.
Und mit Sicherheit meine ich Fürsorge, eine stabile gemeinsame Zukunft, gemeinsame Pläne.
Und hier fangen die Probleme schon an, denn alle drei Sachen widersprechen sich oft:
- Freundschaft lebt von Gemeinsamkeiten, doch Leidenschaft entsteht gerade durch das "Anders" sein.
- Freundschaft lebt davon, dass man sich gut kennt und denn Alltag miteinander verbringen möchte, doch Leidenschaft will oft das Unbekannte.
- Sicherheit verlangt, dass man sich umeinander kümmert - es gehören also gewisse Verpflichtungen dazu. Das kann aber der Freundschaft schaden, die oft auf genug Freiraum und Unabhängigkeit basiert.
Weil wir aber Leidenschaft, Freundschaft und Sicherheit in ein und derselben Person suchen sind die Erwartungen hier schrecklich hoch und eine Beziehung ist oft schon zum Scheitern verurteilt, obwohl sie doch gerade erst begonnen hat.
Die Frage, die ich mir also stelle - und eventuell ist das sogar die Lösung - ist, ob es überhaupt notwendig ist, die eine Person zu finden, in der sich alle drei Dinge dauerhaft vereinen lassen (es ist meiner Meinung nach nämlich gar nicht möglich.)
Überhaupt wurden über viele Jahrhunderte Beziehungen mit ganz anderen Erwartungen geschlossen. Somit haben Frauen oft nur aufgrund der Sicherheit geheiratet und hatten vielleicht auch noch andere Freundschaften.
Eventuell ist das Beziehungsbild, was Filme + Zeitschriften uns vermitteln einfach in der Realität vollkommen unrealistisch.
Sollte ich also meine Erwartungen schmälern? Ich habe durchaus schon Frauen gefunden, wo zwei der drei Punkte gepasst haben. Alle drei - sowas gab es bisher noch nicht. 🙁
Abhängigkeit
Dieser Punkt bezieht sich auch auf normale Freundschaften. Mir ist aufgefallen, dass es in Beziehungen/Freundschaften immer drei Modelle gibt:
Modell 1: Beziehung basiert auf gegenseitiger Abhängigkeit
Du fühlst dich irgendwie nicht ganz "komplett" und bist auf der Suche nach Menschen, die deine Defizite ausfüllen. Du brauchst Menschen, die dir zuhören, Zeit mit dir verbringen oder deine Interessen teilen. Irgendwann entdeckst du einen Menschen, der ebenfalls Defizite hat und man beginnt, sich gegenseitig auszufüllen.
Ich denke, dass fast jede Beziehung auf dieser Basis aufgebaut wird und die meisten Menschen würden darin gar kein Problem sehen. "Liebe ist doch nichts anderes, als das Kind eines ungestillten Bedürfnisses", sagen manche Philosophen.
Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solche Beziehung niemals dauerhaft glücklich sein kann.
Sobald du nämlich abhängig von einer anderen Person bist, reichen schon die kleinsten Schwankungen im Leben des anderen und du wirst eine Menge an negativen Emotionen verspüren:
- Eifersucht
- Unsicherheit
- Sorge
- Angst
Du fängst an zu klammern, was bei der anderen Person wiederum zu negativen Emotionen führt:
- Stress
- Ärger
- Beklemmung
Dies führt schnell dazu, dass die Beziehung marode wird und schließlich in sich zusammenbricht. Gegenseitige Abhängigkeit ist nie gut. Ich überprüfe schon seit einigen Jahren bei allen Freundschaften und Beziehungen, ob ich in irgendeiner Weise abhängig von der anderen Person bin. Ist das der Fall, frage ich mich: "Warum ist das so?" und investiere erst einmal wieder Zeit und Energie in mich selbst, bis die Abhängigkeit verschwunden ist.
Liebe darf niemals auf Abhängigkeit beruhen, sonst ist es keine Liebe, sondern eine Zweckbeziehung*.
An dieser Stelle möchte ich gleich ein Missverständnis aufdecken: Ich meine nicht, dass einem ein anderer Mensch nicht wichtig werden darf. Das ist schon okay und muss sogar sein. Doch darf ein anderer Mensch niemals die Basis des eigenen Lebens bilden. Du musst zu jedem Menschen in deinem Leben sagen können: "Du bist mir zwar wichtig, aber theoretisch könnte ich auch ohne dich glücklich sein."
Und wenn du nicht aushalten könntest, diesen Satz von deinem Partner zu hören, dann ist dies ein klarer Indiz dafür, dass du nach Modell 1 deine Beziehung lebst. Du hast etwas Arbeit an dir selbst vor dir. 🙁
*Die einzige Ausnahme bildet eine Eltern <-> Kind Beziehung. Natürlich ist ein Kind abhängig von seinen Eltern und liebt diese trotzdem. Das ist aber ein spezieller Fall, von dem ich hier absehen möchte.
Modell 2: Beide Partner sind unabhängig
Das zweite Modell ist schon einmal sehr viel besser als Modell 1, denn hier sind beide Partner unabhängig und machen ihr eigenes Ding. Jeder hat sein Leben und verfolgt seine eigenen Ziele. Der Grund, wieso man zusammen ist, kann sein, dass man sich einfach sympathisch findet, verliebt ist oder der Sex gut ist. Einer solchen Beziehung würde ich schon einmal sehr viel größere Erfolgschancen geben, denn hier saugt keiner den anderen aus. Leider wird es aber trotzdem schwer, denn wenn jeder sein eigenes Ding macht, passiert es leicht, dass man sich auch wieder voneinander entfernt. Es kann z.B. sein, dass beiden Partnern ihre Karriere eigentlich wichtiger ist, als die andere Person. Das kann eine Weile gut gehen, doch spätestens, wenn es zu einem Konflikt kommt, in welche Stadt man z.B. ziehen soll, scheitert eine solche Beziehung leicht, denn keiner von beiden wird bereit sein ein Opfer für die Partnerschaft zu bringen. Fehlenden Opferbereitschaft wird auch Partnerschaften nach Beziehungsmodell 2 früher oder später vernichten. Modell 2 ist zu sehr auf die Selbstverwirklichung beider Parteien ausgerichtet. Die Basis einer solchen Beziehung ist also Narzismus - nicht echte Liebe.
Modell 3: Bedingungslose Liebe
Modell 3 ist mein höchstes Ziel. Zwei Personen, die mit sich alleine bereits glücklich sind kommen zusammen und beginnen damit, sich bedingungslos zu lieben. Der eine stellt die Bedürfnisse des anderen immer über die eigenen Bedürfnisse und vice versa.
Keiner fragt hier: "Was kann ich aus der Beziehung für mich herausschlagen?", sondern "Was kann ich dem anderen schenken?"
Eine solche Beziehung ist zwar auf Unabhängigkeit beider Parteien gegründet, doch trotzdem entsteht über die Jahre eine erfüllende Einheit. Beide Partner verfolgen das gleiche Ziel und haben einen gemeinsamen Lebenssinn gefunden. Die Opferbereitschaft ist zudem sehr hoch, denn jeder wünscht in erster Linie für den anderen das Beste.
Modell 3 ist zwar auch keine "perfekte Beziehung" (was unmöglich zu erreichen ist), aber es ist eine "erfüllende Beziehung" (was durchaus möglich ist, aber sehr viel Energie erfordert.)
Leider gibt es Modell 3 nur sehr selten. Ich würde auch nicht daran glauben, dass es so etwas überhaupt gibt, wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen in meiner Familie gesehen hätte.
Problematisch ist, dass es kaum noch emotional gesunde und mit sich alleine glückliche Menschen gibt. Fast jeder ist in Modell 1 gefangen, doch wer Modell 2 erreicht hat, mag mit etwas Schweiß und Blut Modell 3 erreichen. Der Schritt von Modell 1 und 2 ist jedenfalls der schwerste und erfordert ein hohes Maß an Arbeit an der eigenen Persönlichkeit.
Inkompetenz
Ich sehe um mich herum viele Menschen, die sich intensiv mit Dingen beschäftigen: Manche studieren oder machen Karriere, andere beschäftigen sich mit ihren Hobbies und wollen z.B. besser Tanzen, Klettern, Malen oder Fremdsprachen sprechen.
Doch was kaum jemand tut, ist sich mit der "Wissenschaft" der Beziehungen auseinanderzusetzen. Jeder scheint zu glauben, eine gute Beziehung würde "einfach so" geschehen, als sei das etwas ganz Natürliches.
Das ist IMHO nicht der Fall. Lange Beziehungen sind nichts Natürliches. Wir sind in unserer gesamten Menschheitsgeschichte niemals darauf ausgerichtet worden langjährige, erfolgreiche und glückliche Beziehungen zu führen. Bis vor wenigen Jahren war das auch vollkommen unüblich. Man hat geheiratet, um zu überleben. Aus keinem anderen Grund. Und heute denkt jeder eine gute Beziehung würde einfach so vom Himmel fallen, weil es ja "ganz natürlich" ist, sich kennen zu lernen.
Das stimmt auch - der Beginn geschieht ganz natürlich und das ist auch gut so. Aber sobald wir den Anspruch haben lange und dauerhafte Freundschaften und Beziehungen zu führen, ist es einfach notwendig, sich intensiv mit Beziehungen zu beschäftigen.
Jede zweite Ehe in Europa wird inzwischen geschieden und von den 50% der übrigen Ehen sind die wenigsten wirklich glücklich.
Nach meiner persönlichen Schätzung sind vielleicht 20% aller Ehen glücklich und ich bin noch optimistisch.
Die Praxis zeigt: Eine gute Beziehung zu führen kostet Arbeit, Lernen und eine Menge Verständnis dafür, wie Beziehungen funktionieren.
Wieso spricht niemand davon? Wieso hört man kaum jemanden erzählen: "Ich gehe jetzt jede Woche mit meinem Partner zu einem Seminar, wo es um Beziehungen geht."?
Warum gibt es so etwas kaum?
Wenn du so wie die meisten Menschen an eine Beziehung herantrittst, ist das etwa so, als wenn du versuchen würdest einen Computer zu bauen, ohne dich jemals mit Elektrotechnik oder Logik beschäftigt zu haben. Es gibt auch für Beziehungen klare Regeln, die man lernen kann. Gute Beziehungen sind kein Zufall!
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